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Der US-Kongress hat das Bureau of Reclamation 1902 mit dem Ziel ins Leben gerufen, unfruchtbares Land für den Nutzen durch den Menschen mithilfe der Bewässerung urbar zu machen. Die Behörde bewirtschaftet inzwischen 492 Stauanlagen in 17 Staaten des Westens der USA und versorgt jedes Jahr über 31 Mio. Bürger mit knapp 40 Billionen Liter Wasser. Mit jährlich 40 Mrd. Kilowattstunden produzierter Energie handelt es sich um den landesweit zweitgrößten Erzeuger von erneuerbarer Energie aus Wasserkraft.
Mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Gründung entwickelt sich die Behörde nun weiter. Neben der Versorgung der Städte und Kommunen im US-Westen ist ein weiteres erklärtes Ziel auch die Modernisierung des vorhandenen Bestands. „Diese Strukturen sind äußerst wichtig für das Land“, erklärt David Winslow, CAD-Manager und Tiefbauingenieur beim Bureau of Reclamation in Salt Lake City, Utah. „Unser Auftrag ist die Bewirtschaftung von Anlagen, die noch Hunderte von Jahren genutzt werden sollen. Auch wenn wir längst nicht mehr da sind, werden sie immer noch stehen. Sie müssen aber angemessen betrieben und gewartet werden.“
Die Talsperrre im Glen Canyon wurde 1963 fertiggestellt, inmitten eines weltweiten Staudamm-Booms, der von den 1950er bis in die 1970er Jahre anhielt. Zur Sicherung der Strom- und Wasserversorgung sowie zur Hochwasserkontrolle wurden in diesen Jahren jährlich etwa 1000 Dämme gebaut, darunter der Assuan-Hochdamm am Nil in Ägypten, der Kurobe-Damm in Japan, der Idukki-Damm in Indien, der Ilha Solteira-Damm in Brasilien oder auch der Contra-Damm in der Schweiz.
CAD gab es damals noch nicht. Der Glen Canyon, einer der weltweit größten Betondämme, „wurde mit Rechenschiebern und Trigonometrietabellen geplant“, so Winslow. „Alle Zeichnungen wurden auf Zeichentischen von Hand gefertigt.“ Da sich die Behörde nur auf Papierpläne und Blaupausen verlassen konnte, konnten die Auswirkungen der Alterung, des Wetters und der extremen Wechsel bei den Wassermengen auf den Damm nur sehr begrenzt vorhergesagt werden.
Dieses Problem gilt aber nicht nur für den Glen Canyon-Damm: Laut der Weltbank sind von den über 58.000 großen Dämmen weltweit über die Hälfte seit mindestens 50 Jahren in Betrieb. Es ist sicherlich eine globale Herausforderung, bessere Werkzeuge zur Wartung und Erhaltung der Widerstandsfähigkeit zu finden.
Das Bureau of Reclamation ist an Autodesk herangetreten, um sich die besten Tools und Techniken zu sichern, die es gibt, um ein detailliertes 3D-Modell der Anlage zu erstellen – sozusagen einen „virtuellen“ Glen Canyon-Damm. 3D-Daten bieten Tiefe und Kontext weit über die zweidimensionalen Pläne auf Papier hinaus. Und digitale Daten sind dynamisch: Sie bleiben nicht auf einem bestimmten Stand stehen, wie dies bei den alten Blaupausen der Fall war. So können digitale Modelle immer wieder aktualisiert, neue Szenarien simuliert und Änderungen mit den ursprünglichen Daten abgeglichen werden – und das jahrhundertelang.
Ein 3D-Modell würde dem Bureau of Reclamation enorme neue Möglichkeiten bieten, um den Glen Canyon-Damm zu bewirtschaften und zu warten. Dadurch würden die Suche, die Diagnose und die Reparatur von aktuellen Schäden und die Prognose und Vermeidung zukünftiger Beschädigungen vereinfacht.
Die Frage ist nur: Wie erstellt man ein Computermodell eines Objekts, das vor CAD errichtet wurde? Die Antwort lautet „Reality Capture“ oder Realitätserfassung.
Realitätserfassung ist das Sammeln von Daten über ein bestimmtes Objekt, darunter Bilder und Maßangaben zur Darstellung der Größe, Form und Position des Objekts, und die anschließende Zusammenführung dieser Daten zu einem digitalen Modell. Mit Geldern aus seinem Wissenschafts- und Technologieprogramm beauftragte das Bureau of Reclamation Autodesk mit der Erfassung der nötigen Daten und der Generierung der 3D-Modelle. Die Mitarbeiter der Behörde sollten dabei die Verfahren und Prozesse genau beobachten. Im August 2016 begannen das Bureau of Reclamation und Autodesk, das Gebiet mithilfe von Laserscannern (LiDAR), Sonargeräten und Kameras zu dokumentieren.
Eine ganze Woche lang legte das Team von Autodesk von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Scans und Fotos des Damms und seiner Umgebung an. Mitarbeiter des Teams fotografierten die Innenräume und Außenanlagen des Wasserkraftwerks, die beiden Seitenwände des Damms, die Dammkrone, die umgebende Landschaft und sogar Teile des Besucherzentrums und griffen die entsprechenden Maße ab. Mit einem ganzen Arsenal von hochentwickeltem Gerät wurden 700 LiDAR-Scans sowie unzählige Fotos und Videos zu Land, zu Wasser und aus der Luft aufgenommen.
Die Scans des Glen Canyon-Damms erfassten eindrucksvolle Bilder und Millionen von Datenpunkten in detaillierten, fotorealistischen 3D-Punktwolken. Durch Zusammenführung überlappender Bilder in einem als Fotogrammetrie bezeichneten Prozess erstellten die Fotografen des Teams Modelle aus Fotos. Um die enorme Menge an Rohdaten unterzubringen, wurden sie in ReCap Pro in einer größeren und vollständigeren Punktwolke zusammengeführt.
Aus dem Import der Punktwolke wurde in Revit ein technisches 3D-Modell erstellt, das mit den einzelnen Komponenten des Damms, vom Baustahl bis hin zu den Wasserkraftgeneratoren, aufgefüllt wurde. Dieses Modell kombiniert Alt mit Neu und ordnet die alten 2D-Pläne den erweiterten Punktwolkendaten zu, sodass nicht nur jede Einzelheit des Damms an sich, sondern auch ihr Zusammenspiel im Gesamtsystem zu sehen ist.
In der letzten Projektphase wird dann das technische Modell in InfraWorks importiert und ein Echtzeit-Datenstrom über Leistung des Staudamms hinzugefügt – beispielsweise wie viel Wasser abgelassen wird und wie viel Strom produziert wird. Das Ergebnis ist eine dynamische virtuelle Darstellung des Staudamms, in der Mitarbeiter Risiken, die eine Reaktion erfordern, ermitteln und nutzbare Möglichkeiten sehen können.
Das Bureau of Reclamation nutzt das dynamische 3D-Modell des Glen Canyon-Damms als Tool für Mitarbeiter aller Disziplinen. „Es handelt sich um ein Mehrzweckmodell“, erklärt Winslow. Es bietet darüber hinaus neue Möglichkeiten zur Aufklärung der Öffentlichkeit: Beispielsweise können virtuelle Begehungen des Damms abgehalten werden, besonders von Bereichen, die Besucher aus Sicherheitsgründen normalerweise nicht betreten dürfen. Die Behörde plant die Erstellung von ähnlichen 3D-Modellen ihrer anderen Stauseen, darunter Hoover in Nevada und Grand Coulee in Washington.
Am wichtigsten ist jedoch, dass das Modell ein entscheidendes Hilfsmittel zur Vorbereitung auf mögliche künftige Ungewissheiten darstellt. „Von Jahr zu Jahr unterscheiden sich Wassermenge und Wetter. Wir wissen daher nicht genau, auf welchen Zufluss in den Stausee wir uns einstellen müssen“, bemerkt Winslow. „Wir versuchen zu verstehen, wie wir in Zukunft die Verbraucher am besten mit Wasser versorgen – nicht nur für das restliche Jahrhundert, sondern auch darüber hinaus.“ Das dynamische 3D-Modell ist, so Winslow weiter, „ein Tool für viele verschiedene Fachrichtungen, das uns bei der effizienteren Bewirtschaftung der Anlage über viele Jahre hinweg unterstützen kann.“
Heutzutage müssen sich Dammbetreiber auf der ganzen Welt auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten. Bei ähnlich alten Dämmen wie dem Glen Canyon laufen bereits Initiativen zur Modernisierung. Dazu zählen die 1959 fertiggestellte Kariba-Talsperre in Simbabwe und Sambia, der 1968 in Dienst gestellte Oroville-Damm in Kalifornien und der 1987 fertig gestellte Burdekin Fall-Damm in Australien ebenso wie nationale Programme zur Modernisierung von Dämmen in Indonesien, Indien, Armenien und Vietnam. Der beim Glen Canyon-Damm erstmals eingesetzte Prozess zur Erstellung von 3D-Modellen, so Winslow, „kann Eigentümern und Betreibern von Staudämmen überall auf der Welt helfen, ihre Anlagen optimaler zu betreiben und zu verwalten.“
Beim Glen Canyon und anderen alternden Staumauern – ganz zu schweigen von alternden Kraftwerken, Brücken, Häfen und anderen kritischen Infrastrukturen – bieten die Realitätserfassung und digitale 3D-Modelle dynamische Werkzeuge, die ein genaues Bild der Anlagen, ihres Zustands und ihrer prognostizierten künftigen Leistung vermitteln können. Das Ergebnis ist eine bessere, kostengünstigere Wartung, dank der Infrastrukturen länger halten.